Dr. S. Streitz:
2. Saarbrücker Standard zur Bewertung von Software
NJW-CoR, 4/95, 270

Kriterienkatalog Softwareauswahl – allgemeiner Bereich

Der Arbeitskreis “Bewertung von Software” hat während des 4. EDV-Gerichtstags in Saarbrücken im März 1995 unter der Leitung von Werner Gutdeutsch, Richter am OLG München, den Kriterienkatalog “Bewertung von Software – Allgemeiner Bereich” als neuen Saarbrücker Standard verabschiedet. Der Arbeitskreis entstand aus der Idee, Berechnungsprogramme im Bereich des Familienrechts näher zu untersuchen und zu bewerten. Aufgrund der Komplexität dieser Aufgabe wurden die Schwerpunkte Allgemeiner Kriterienkatalog, Familienrecht und Zivilrecht gebildet. Thomas Schneider und Dr. Siegfried Streitz legten zum EDV-Gerichtstag 1994 einen allgemeinen Kriterienkatalog vor, der auf der Basis bestehender Normen und Vorschriften gemäß den sich aus dem Stand der Technik ergebenden Anforderungen erarbeitet worden war. Ergänzt wurden diese Kriterien um Anforderungen der bestehenden DV-Infrastruktur sowie um Unternehmenskennwerte und Serviceleistungen, die den Anbieter und das Produkt für den zukünftigen Einsatz qualifizieren. Diese Zusammenstellung wurde innerhalb des Arbeitskreises vervollständigt und einstimmig bei sechs Enthaltungen verabschiedet.

Der Kriterienkatalog basiert auf der Erkenntnis, dass die bei einer Softwarebeschaffung beteiligten Personen Projektleiter, Investoren, Anwender und Betreiber unterschiedliche Interessenlagen haben. Daher wurde eine Aufteilung gewählt, die diese Interessenbereiche widerspiegelt. Da die anwendungstypischen Anforderungen von Fall zu Fall verschieden sind, werden generell verwendbare Kriterien genannt, die für breite Anwendungsbereiche Bedeutung haben. Die Anwendung eines derartigen Katalogs stellt sicher, dass der Entscheidungsprozess nachvollziehbar und belegbar wird.

Es ist geplant, Rechtsanwendungssoftware auf der Basis dieser Zusammenstellung detailliert zu untersuchen und einen Gewichtungsvorschlag zur Anwendung des Kriterienkatalogs zu erarbeiten.

Kriterienkatalog Softwareauswahl – allgemeiner Bereich

A. Allgemeine Funktionsmerkmale

Allgemeine Funktionen:
  • Unterstützung des Zusammenwirkens der einzelnen Programmteile
  • Auswahl- und Sortierfunktionen (z. B. Auffinden bereits durchgeführter Arbeiten)
  • Ausdruckmöglichkeiten
  • Muster für Arbeiten
  • Statistiken und Übersichten
  • Verarbeitungskapazitäten
  • Besondere Funktionen:

  • in Abhängigkeit vom Anwendungsgebiet
  • B. Ergonomie

    Benutzerunterstützung:

  • Programmierungs- und Anpassungsmöglichkeiten (z. B. mit Einstellungsdateien oder Makros)
  • Kopierfunktionen
  • Zeigen und Markieren mit der Maus
  • Ausdruck-Vorschaufunktionen
  • Unterstützung von Nutzungskonventionen (z. B. Felder für Betreff, Rubrum) und organisatorischen Abläufen (z. B. Bearbeitungshinweise, Alarm- und Erinnerungsfunktionen)
  • Hilfesystem:

  • allgemeines Hilfesystem
  • kontextsensitive Hilfe (in Abhängigkeit vom Umfeld)
  • frühestmögliche Fehlermeldung bei Fehleingaben
  • Verweise auf Handbuch
  • Statusmeldungen
  • Programmkonzept:

  • Menübreite und -tiefe
  • Erwartungskonformität der Menüs und der Tastenbelegung
  • Anpassbarkeit der Menüführung und der Funktionstasten (z. B. Anfänger- oder Expertenmodus)
  • Anordnung der Informationen
  • Grundeinstellung
  • Farbgestaltung
  • Fehlerrobustheit
  • Benutzerdokumentation:

  • Auffindbarkeit der Information
  • Befehlsübersicht
  • Kurzeinführung
  • Anwendungsbeispiele
  • Vollständigkeit
  • Programmbeschreibung
  • Beschreibung des Verhaltens in Ausnahmesituationen
  • Lernprogramm
  • C. Integration

    Anwendungsintegration:

  • Import- und Exportformate für Anwendungsdaten
  • dynamischer Datenaustausch und Beziehungen zu anderen Programmen (z. B. DDE- und objektorientierte OLE- sowie OpenDoc-Standards)
  • Systemintegration:

  • unterstützte Hardware-Plattformen
  • Datenbank-Schnittstellen
  • unterstützte Netzwerkprotokolle
  • unterstützte Netzwerksoftware
  • Anforderungen an Rechnersystem (wichtig für Anwortzeiten)
  • Speicherplatzbedarf
  • Installationsprozeduren
  • Verifikationsroutine für Installation
  • Allgemeiner Datenschutz, Datensicherheit:

  • Vergabekonzept für Zugriffsrechte
  • Wiederanlauf-Mechanismen
  • Datensicherungsprozeduren
  • Protokollierung
  • Verschlüsselungsmechanismen
  • D. Investitionsschutz

    Anbieter:

  • Anbieter = Hersteller
  • Erfahrung im Anwendungsgebiet
  • Jahre der Marktpräsenz
  • Umsatzentwicklung
  • Mitarbeiteranzahl
  • Engagement für Standards
  • Budgetanteil für Forschung und Entwicklung
  • Zertifizierung nach ISO 9001
  • Produktbreite
  • Produktmerkmale:

  • Anzahl Installationen
  • Absatztendenz
  • Marktpräsenz
  • geplante Erweiterungen
  • Investitionsvolumen Produkt
  • Häufigkeit, Aktualität und Konditionen von verbesserten/erweiterten Versionen
  • Probeinstallation
  • Produktqualität:

  • verwendete Entwicklungswerkzeuge (z. B. für Feinkonzept und Tests)
  • Dokumentation der Entwicklungsphasen
  • implementierte Standards
  • Installationsbeschreibung
  • Dimensionierungsbeschreibung benötigter und optimaler Hardwareausstattung
  • Programm- und Dateiverzeichnis
  • Dateiorganisation (z. B. für Anwendungsdaten)
  • Testdaten
  • Gütesiegel
  • Service:

  • Wartungsverträge
  • deutschsprachiger Kundendienst
  • regionale Entfernung
  • Qualität und Verfügbarkeit einer Hotline
  • Fernwartung
  • Schulung
  • Benutzerzeitschrift
  • Benutzerforum
  • Sonstige Absicherung:

  • garantierte Fehlerbehebungszeit
  • Entschädigungsregelung bei Nichterfüllung, Dauer und Umfang Gewährleistung
  • Weiterentwickelbarkeit durch Dritte